Neulich bin ich in Sailingworld.com auf diesen Artikel aus dem Jahr 1972 gestoßen, den ich Dir, geneigte Leserin, werter Leser, nicht nur nicht vorenthalten kann, sondern den ich mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers hiermit übersetzt mit Dir teile. Und ich halte Dich nicht mehr mit irrelevanten Einordnungen vom Wesentlichen ab:
Ein Essay über die Tugend der Niederlage. Aus Yacht Racing, März 1972
Von Colin D. Neal, aus dem Original übersetzt, 8. Dezember 2020
Lass die, die regelmäßig zum Sieg segeln, selbstgefällig bleiben und diesen Artikel nicht lesen. Sonst würden sie damit einen Vorgeschmack auf die Zukunft bekommen, und erste Angstgefühle aufkommen angesichts der kommende Niederlage gegen diesen Neuling, der es jetzt noch so gerade eben über den Regattakurs schafft. Segler auf der Siegerstraße werden selten abgehoben. Sie verlernen einfach, von jedem Rennen zu lernen. Diejenigen unter uns, die verlieren haben dagegen den entschiedenen Vorteil, hungrig zu sein. Hungrig nach Siegen, und so lernen wir etwas aus jeder Niederlage.
Nachdem man ein Jahr lang dem Rest der Flotte nachgeschaut hat, versetzt Dich der Umstand, dass Du nach schrittweisen Verbesserungen schließlich mit Deinen Gegnern zumindest für einige Bahnmarken mithalten kannst in eine Ekstase, die Du wahrscheinlich beim Segeln nie mehr wieder erleben wirst. Außer, wenn Du das erste Mal die Luvmarke in Führung liegend rundest.
Dies ist der Vorteil des Neulings, und der Grund, warum dieser Weise von 29 Jahren (der Autor 1972, Anm.) für alle Welt laut vernehmbar behauptet: Die Verlierer von heute werden die Trophäen von morgen gewinnen, schon allein deshalb, weil der Schmerz der Niederlage mehr zum Siegen anreizt als die Freude des Sieges.
Eine Wettfahrt zu verlieren gehört wahrscheinlich zu den quälendsten Situationen, in die man sich freiwillig bringen kann. Was könnte einfacher sein, als flott und lässig um diese kleinen Bojen zu segeln? Beinahe jeder kann in wenigen Stunden segeln lernen. Also wirklich, wenn wir ehrlich sind müssen wir zugeben, dass segeln mit ein wenig Übung lächerlich einfach ist.
Aber wenn segeln so einfach ist, warum ist segeln im Wettkampf dann so quälend schwierig? Warum haben wir als Anfänger erst ein Drittel des Weges zur Boje zurückgelegt, wenn sie alle anderen schon runden? Oder warum schwankt unser Boot permanent zwischen im Wind und Kenterung, während alle anderen fröhlich, mit einem Lächeln auf den Lippen und Freude im Herzen in den 15 kn Hurricane kreuzen? Wie schaffen sie es an Tagen mit Leichtwind fröhlich voraus zu fahren, während unsere Kiste vor jeder Welle, die höher als 6 cm ist entschlossen zurückweicht? Und wie kann es möglich sein, dass mit gleichem Segel- und Bootsmaterial diese anderen höher und schneller auf der Kreuz segeln, und dann auch noch raumschots schneller sind?
Die Antwort auf diese existentiellen Fragen liegt in einem tiefen psychologischen Verständnis des Segelbootes und dessen Beziehung zum Steuermann. Der Schlüssel zu diesem Verständnis (und damit letztlich der Schlüssel zum Erfolg) liegt im Erkennen der teuflischen Hinterhältigkeit unseres Bootes, mit der wir uns andauernd auseinandersetzen müssen, und von der wir ebenso andauernd lernen können.
Wer zweifelt insgeheim, wissenschaftlicher Erkenntnis zum Trotz, dass dieses fragile, hypersensible Ding, das angeblich wir steuern, tatsächlich von einem unmenschlich menschlichen und bösartig eigenwilligen Geist beseelt ist? Den spottenden Skeptikern und Besserwissern halte ich entgegen: Erkläre bitte in wenigen Worten, warum einen die Änderung der Vorstaglänge um 10 cm diese Woche weit nach vorne bringt, und nächste Woche an’s Ende des Feldes – bei gleichen Windbedingungen?
Liebe sie, wenn Du willst. Sei besessen davon, mit ihr zu fliegen, wie ich es bin. Aber mach Dir um Deiner geistigen Gesundheit willen klar, dass sie eine hartnäckige Gegenspielerin ist, die nicht nach Sieg hungert, sondern nach dem Nervenkitzel, Dich bei jeder Gelegenheit auf’s Glatteis zu führen. Sie durstet nach der Verlegenheit der Niederlage. Sie wirft ihren Kopf nach hinten und lacht dich aus, wenn Du sie bei kräftiger Brise auf die Seite legst, während Deine Gegner aufrecht und schnell davon segeln. Sie schreit ihren Jubel hinaus, während Du beim Halsen alle Fehler machst, zu denen sie Dich bringen kann. Sie gurgelt aus Vergnügen, wenn Du raumschots hinten sitzt und ihr Heck in’s Wasser drückst. Sie schüttelt ihr Vorsegel mit Begeisterung, während Du höher und höher steuerst, während Deine Gegner immer weiter davon segeln. Und natürlich kichert und schnattert sie wenn Du zu tief fährst, während alle anderen höher und mit mehr Druck in den Sonnenuntergang segeln.
Sie will, dass Du verlierst. Sie gibt sich besondere Mühe, Dich beim Verlieren zu unterstützen.
Aber genau das ist ihre Natur, und führt uns zur Moral dieser kleinen Geschichte. Das alte Klischee, dass Rennen gewinnt, wer die wenigsten Fehler macht, ist so banal wie wahr. Und wie lernen wir, die wenigsten Fehler zu machen? Indem wir Fehler machen. Niemand lernt seine Gegner zu decken, bis er eine Wettfahrt verliert, weil er seine Gegner nicht gedeckt hat. Wir lernen Bahnmarken gut zu runden, indem wir sie schlecht runden und verlieren. Wir lernen, wie wir sie am Besten an der Kreuz segeln, bis wir wütend genug sind um alles über diese Materie herauszufinden, am Wasser umsetzen, einstellen, trainieren und Rennen fahren, wieder und wieder und wieder.
Beim Rennsegeln gibt es weder Wunderkinder noch wundersamen Erfolg. Dafür sorgen schon die dutzenden (oder hunderten) Variablen, von der Einstellung des Bootes, der Taktik über die Bootsführung und den Umgang mit den Windbedingungen auf der Bahn. Der Gegner, der Dich regelmäßig schlägt, ist selbst durch diese Schule der Niederlagen gegangen und erntet jetzt die Früchte. So weit ist er selbst erst am Ende einer langen Suche nach Wegen zur Vermeidung der Verlegenheit und Qual der Niederlage gekommen.
Unsere Unterstützer erklären uns, dass wir gewinnen sollen, indem wir an den Sieg glauben. Das ist ein guter Rat, wenn Du schon Experte bist, aber nicht sonderlich hilfreich, wenn Du noch um den Anschluss an’s Feld kämpfst. Ich behaupte, dass der Weg zum Sieg im Glauben liegt, dass Du diese Woche nicht so krass geschlagen wirst wie letzte Woche – und in der Verdoppelung Deiner Anstrengungen, wenn Du sogar noch gründlicher geschlagen wirst.
Den Rückstand durch Beharrlichkeit selbst im Angesicht der Niederlage zu verkleinern und dabei aus jeder Niederlage zu lernen ist der wahre Weg zum Sieg. Solche Beharrlichkeit führt nicht nur zu Trophäen, sondern erzeugt insgeheim Respekt bei denen, die gerade noch oben auf sind. Nichts erschreckt einen Sieger mehr als der Verlierer, der nicht aufgibt, immer wieder herausfordert, und dabei näher und näher kommt.
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